«Rücksichtsloser, aber auch dünnhäutiger als früher…»

    Hat der Slogan «Die Polizei – Dein Freund und Helfer» ausgedient?

    Markus Melzl nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Ex-Kriminalkommissär und ehemalige Mediensprecher der Basler Staatsanwaltschaft ist nach wie vor ein aufmerksamer Beobachter, wenn es um die aktuellen und künftigen Herausforderungen bei der Polizeiarbeit geht. Mit seiner Erfahrung und mit einem neuen Blick von Aussen auf die komplexen Dinge legt er manchmal die Finger auch auf die offenen Wunden.

    (Bild: Bildarchiv Kanton BS) Bei jedem heiklen Einsatz kann es zu Übergriffen kommen – ob verbaler oder physischer Art. Auch gegen Polizistinnen und Polizisten, die sich absolut korrekt und angemessen verhalten.

    Im Artikel «Fingerspitzengefühl und starke Nerven» haben wir darüber berichtet und ein Interview geführt, wie schwierig der Umgang mit der neuen Realität in der Polizeiarbeit geworden ist. Polizistinnen und Polizisten werden immer öfter beschimpft und sogar bedroht oder bei einer Festnahme durch filmende Gaffer so lange in ihrer Routine gestört, bis beidseitig üble Schimpfwörter fallen. Auch wird von «Hatern» oder gewissen Gruppierungen zu Gewalt gegen die Polizei «aufgerufen». Solches passiert in unserer Region in diesem Jahr in regelmässigen Abständen. Im Zuge des Trends nach der Forderung für mehr Transparenz bezüglich der Polizeiarbeit der Gegenwart und der Zukunft kann das Pendel auch schnell in die entgegengesetzte Richtung schwingen.

    Einer, der sich gut auskennt mit den Herausforderungen der Polizei ist Ex-Kriminalkommissär Markus Melz. Er ist aufgrund seiner jahrelangen Präsenz in den Medien ein Basler «Original». Und er nimmt kein Blatt vor den Mund. Das muss er auch nicht (mehr). Melzl hat fast das ganze Berufsleben bei der Polizei verbracht, davon 16 Jahre als Mediensprecher der Staatsanwaltschaft. Seit 2012 trage er «einen anderen Hut», wie er gerne zu sagen pflegt. Markus Melzl schreibt und referiert heute über jene Themen, die ihn tagtäglich während seiner Karriere beschäftigten. Political Correctness um der Political Correctness wegen sei nicht sein Ding. Und heute erst recht nicht. Dies merkt man in vielen seiner Kommentare. Er schreibt und kommentiert vorbehaltlos und spricht Dinge klar und unverhohlen an, die oft nur hinter vorgehaltener Hand formuliert werden. Wir haben ihn um seine Meinung gefragt, wie er denn die aktuelle Arbeitsbedingungen der Polizei in unserer Region einordnet.

    (Bild: zVg) Redet Klartext: Markus Melzl, Ex-Kriminalkommissär und ehemaliger Mediensprecher der Basler Staatsanwaltschaft.

    Markus Melzl, wie beurteilen Sie generell die Arbeitsbedingungen der Polizei in der Grossregion Basel?
    Markus Melzl: Die Arbeit der Polizei – vor allem in städtischen Verhältnissen und in den grösseren Agglomerationen – ist sehr anspruchsvoll. Wie die Polizei selbst ausgeführt hat, prallen viele unterschiedliche Interessen aufeinander und ich meine, dass die Menschen einerseits rücksichtsloser, andererseits auch dünnhäutiger geworden sind. Diese beiden Pole prallen bei vielen Polizeieinsätzen aufeinander, was zwangsläufig zu problematischen Situationen führt. Die Polizei steht dann irgendwo in der Mitte und immer öfter werden die Sicherheitskräfte aufgerieben. Es sind auch Fälle bekannt, bei welchen sich gegnerische Parteien plötzlich solidarisieren und dann zusammen gegen die Polizei vorgehen.

    Wenn Sie den Artikel aus der letzten Ausgabe lesen, was würden Sie den Ausführungen der Polizei Basel Stadt aus Ihrer, unabhängigen Sicht hinzufügen?
    Grundsätzlich habe ich den Ausführungen von Toprak Yeguz nichts beizufügen. Er nimmt verständlicherweise eine behördliche Auslegeordnung vor und spricht die 24-Stunden-Spassgesellschaft an. Eines kann man vielleicht doch anfügen: Aus Gründen der Political Correctness kann sich eine Behörde nicht darauf hinauslassen zu sagen, dass gewisse ausländische Kreise heikler auf Massnahmen und Anordnungen der Polizei reagieren. Aber das ist ein relevanter Aspekt. Interessanterweise sind es oftmals Menschen aus Ländern, wo die Polizei in hohem Masse gefürchtet wird und sich niemand erdreisten würde, sich abschätzig zu verhalten. Eine im deutschen Bochum eingesetzte Polizistin hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben: Tania Kambouri / Deutschland im Blaulicht – Notruf einer Polizistin. Darin schildert sie als Frau mit griechischem Migrationshintergrund ihre Erfahrungen als Polizistin in einem sozialen Brennpunkt, bewohnt und als Ausgangsmeile frequentiert von jungen Muslimen. Sie beschreibt deren Umgang mit ihr als Frau und Polizistin. Ein unaufgeregt geschilderter Augenöffner.

    Welche Massnahmen müsste man intern treffen, um bei den Polizistinnen und Polizisten einen möglichen Motivationsverlust oder eine «Radikalisierung» zu verhindern?
    Nicht nur Unterstützung von den Vorgesetzen bis hinauf in die höchsten Kaderpostionen, sondern vorallem eine politische Unterstützung, von welcher es leider stark mangelt. Gerade die politischen Vorgesetzen bangen laufend um ihre Wiederwahl und es macht heute den Anschein, dass sich viele Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren schweizweit permanent im Wahlkampf befinden und jede Entscheidung auch unter diesem Aspekt treffen. Ich selbst habe mit den Polizeivorstehern Karli Schnyder und Jörg Schild zwei politische Vorgesetzte erlebt, die sich auch mal klar gegen das Parlament und gegen das Regierungskollegium gestellt haben. Gerade Karli Schnyder hatte wohl auch Spass daran, immer mal wieder auch dort anzuecken, wo es für ihn hätte schmerzlich werden können, weshalb die Polizeimannschaft mit Überzeugung hinter ihm stand.

    Mal auf den Punkt gebracht: Wird die Arbeit der Polizei immer mehr geringgeschätzt?
    Es werden immer Bürgerbefragungen zitiert, wie zufrieden die Bevölkerung mit der Polizei ist. Es ist auch nicht weiter verwunderlich, dass die Resultate für die Polizei durchwegs gut ausfallen. Der Bürger vertraue seiner Polizei, schätze die Präsenz im öffentlichen Raum und zähle auf ein professionelles Vorgehen im Ereignisfall – welcher Art auch immer. Wenn man aber beispielsweise in Basel bei den Ausgehhotspots zu nächtlicher Stunde die von Mulhouse angereisten, muslimischen Männer fragen würde, dann fiele wohl die Zustimmung schlechter aus. Dies nicht nur bezüglich Basler Polizei, sondern bezüglich jeder Art von Polizei. Dies darf aber die Polizei selbst nicht zum Massstab nehmen und muss über solchen Qualifikationen stehen.

    Jetzt ist es aber nicht so, dass nur die Polizei von gewissen Kreisen geringgeschätzt wird, sondern viele staatliche Institutionen. Vor allem jene, die nur schon die kleinste Einschränkung oder den Spassfaktor irgendwie stören. Dazu gehören auch Feuerwehr und Sanität. Dass man gegen die Polizei auch körperlich vorgeht ist unschön aber gehört leider dazu. Dass aber Sanitäterinnen und Sanitäter angegriffen werden, die sich das Helfen von Menschen in Notsituationen auf die Fahne geschrieben haben, ist ein Skandal.

    Wie ist die Situation atmosphärisch gesehen bezüglich Arbeitsbedingungen und der Komplexität der Aufgaben im internationalen Vergleich?
    Nehmen wir einmal Frankreich als Vergleich: In sämtlichen Ballungszentren dort läuft die Polizei Gefahr, die Kontrolle nicht nur wie aktuell zu einem erheblichen Teil, sondern vollständig zu verlieren. In den explosiven Banlieus von Paris, Lyon und -Marseille, aber auch vieler anderer Städte, ist eine ganz normale polizeiliche Arbeit praktisch nicht mehr möglich. Es sind nahezu kriegsähnliche Situationen zwischen den Polizeikräften und den Banlieu-Bewohnern. Die Gründe sind vielfältig, können aber nicht von der Polizei, sondern ausschliesslich von der Politik und der Gesellschaft gelöst werden. Wenn junge Migranten aus den Banlieus keine Perspektiven haben, dann sind weder Gendarmerie noch die Police Nationale die Ansprechspartner um diese verfahrene Situation zu lösen.

    JoW,
    Interview: D. Ciociola


    Lästig und nicht der Sache dienlich

    Wenn eine Polizistin, ein Polizist bei seiner Tätigkeit laufend gefilmt und mit Kommentaren – auch oft sogar unter der Gürtellinie – bedacht werde, dann sei dies im hohen Masse lästig, sagt Markus Melzl. Wichtig sei, dass ein Klima für die Polizei geschaffen werden sollte, wo nicht jede auch noch so kleinste Abweichung vom polizeilichen Verhaltensprotokoll zum Drama führe. «Vielleicht braucht es polizeiliche und politische Vorgesetzte, die vor Beschwerdeführern und vor den Medien nicht permanent in Starre verfallen wie das Kaninchen beim Anblick einer Schlange», so Melzl weiter. Nicht bei regel- oder gar gesetzeswidrigem Handeln, sondern bei vielleicht einem etwas ruppigeren Vorgehen der Polizei wäre es vielleicht von der vorgesetzten Stelle wünschbar, wenn Meldungen und Anfragen mit dem abschliessenden Kommentar «Es hat zur Kenntnis gedient» erledigt würden. «Ich wäre froh, wenn der Bürger auch akzeptieren könnte, dass polizeiliche Interventionen in gewissen Fällen nicht immer mit Samthandschuhen vorgenommen werden können. Dazu gehört auch, dass bei einem 35 Jahre alten Festgenommenen, welcher einer Straftat beschuldigt wird, nicht plötzlich Mama und Papa auf der Matte stehen und die Strafverfolgungsbehörden mit Beschwerden und unhaltbaren Anwürfen eindecken.»

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