Der Mindestlohn – der Wolf im Schafspelz

    Die Basler Wirtschaftsverbände – darunter auch der Gewerbeverband Basel-Stadt – wehren sich gegen ein kantonales Mindestlohn-Gesetz respektive gegen die kantonale Volksinitiative «Kein Lohn unter 23 Franken». Direktor Gabriel Barell warnt vor der Gefährlichkeit und den negativen Auswirkungen eines staatlichen Mindestlohns wie Preissteigerungen und Wegfall von Arbeitsplätzen, das Ende der Sozialpartnerschaften sowie der Schwächung der Berufsbildung.

    (Bilder: zVg) Gabriel Barell, Direktor Gewerbeverband Basel-Stadt: «Wenn wir nun politisch zu hohen Mindestlöhnen verordnen, gehen Jobs verloren.»

    2014 lehnte die Schweiz die sogenannte Mindestlohn-Initiative klar ab. Wieso stimmt der Souverän von Basel-Stadt am 13. Juni erneut über eine kantonale Vorlage ab?
    Gabriel Barell: Das stimmt. Damals stimmten national 76 Prozent klar Nein zur Mindestlohninitiative und auch in Basel-Stadt war die Ablehnung mit 62 Prozent deutlich. Nun kommt es wieder zur Abstimmung, weil die Gewerkschaften und linke Gruppierungen erneut eine Initiative lanciert haben und der Grosse Rat einen Gegenvorschlag beschlossen hat.

    Der Gewerbeverband Basel-Stadt, aber auch die Handelskammer beider Basel sowie der Arbeitgeberverband Basel lehnen sowohl die Initiative «Kein Lohn unter 23 Franken» als auch der regierungsamtliche Gegenvorschlag klar ab. Was spricht primär gegen ein kantonales Mindestlohngesetz, respektive wieso ist es mehr Fluch als Segen?
    Wir haben heute in den meisten betroffenen Branchen Mindestlöhne – aber branchenspezifische, welche die reale Wertschöpfung berücksichtigen. Wenn wir nun politisch zu hohe Mindestlöhne verordnen, gehen Jobs verloren, die Berufslehre wird geschwächt und die erfolgreiche Sozialpartnerschaft wird ausgehebelt.

    Wer engagiert sich alles gegen das Kantonale Mindestlohngesetz in Basel-Stadt?
    Das 2x Nein-Komitee ist breit abgestützt. Neben den Wirtschaftsverbänden engagieren sich auch die Parteien Die Mitte (ehemals CVP), FDP, GLP, LDP und SVP sowie zahlreiche Branchenverbände, weitere Organisationen und Einzelpersonen gegen staatliche Mindestlöhne. Auch Organisationen, welche höhere Löhne zahlen, sind dabei, wie beispielsweise die Vereinigung Basler Privatspitäler oder soziale Institutionen wie die Behindertenselbsthilfe beider Basel.

    Sie argumentieren unter anderem, der Lohn ist immer ein zentrales Element in einem Gesamtgefüge, das durch den kantonalen Mindestlohn gefährdet wird. Erklären Sie das?
    In den Gesamtarbeitsverträgen wird viel mehr festgehalten als nur die Mindestlöhne, zum Beispiel Nebenleistungen, Ferien, Frühpensionierungen etc. Wenn ein kantonales Mindestlohngesetz kommt, sinkt der Anreiz, Gesamtarbeitsverträge auszuhandeln und Zusatzleistungen zu gewähren. Das wäre eine schlechte Entwicklung.

    (Bild: zVg) Der Gewerbeverband Basel-Stadt wehrt sich vehement gegen die kantonale Volksinitiative «Kein Lohn unter 23 Franken», denn die Mindestlöhne schaden jenen, denen sie eigentliche nützen sollten.

    Welche Auswirkungen hat der Mindestlohn konkret auf die KMU-Wirtschaft?
    In Branchen mit tiefer Wertschöpfung würden die Lohnkosten steigen. Die Reserven und der finanzielle Spielraum sind bei diesen KMU ohnehin klein – jetzt mit der Corona-Krise stehen viele am Abgrund. Die Folge wäre ein Abbau von Arbeitsplätzen. Zudem hätten die Basler KMU einen grossen Wettbewerbsnachteil.
    Denn die Basler Mindestlöhne gelten nur für Firmen mit Sitz in Basel. Die Konkurrenz aus dem Umland könnte ihre Dienstleistungen in Basel noch günstiger anbieten. Das wäre unfair.

    Haben Sie dazu ein Beispiel aus der Praxis?
    In der Gastronomie beträgt die Marge rund 2 bis 3 Prozent. Mit dem staatlichen Mindestlohn würden die Personalkosten um über 10 Prozent steigen. Das kann nicht aufgefangen werden. Die Leidtragenden wären gerade die schlecht qualifizierten Mitarbeitenden. Andere Mitarbeitende würden diese einfachen Arbeiten auch noch erledigen. Der Druck und der Stress für alle steigt.

    Wieso ist der Mindestlohn schädlich für die Niedriglohnbranchen respektive wieso hat er eine negative Wirkung für sozial Benachteiligte?
    Weil jeder Lohn zuerst erwirtschaftet werden muss, bevor er ausbezahlt werden kann. Steigen die Kosten, dann können nicht alle Stellen gehalten werden. Das trifft zuerst die Stellen für Menschen ohne Ausbildung, für Wiedereinsteigerinnen, für Flüchtlinge oder die Aushilfsjobs. Die Mindestlöhne schaden jenen, denen sie eigentlich nützen sollten. Diese Gruppe wäre auch am stärksten von allfälligen Preissteigerungen betroffen.

    Ebenso führt ein Mindestlohn zur Schwächung der Berufsbildung!
    Das ist richtig. Auch in den Niedriglohnbranchen verdient man mit einer Ausbildung rasch mehr als 4000 Franken pro Monat. Wenn aber Ungelernte ohne Ausbildung sofort gleich viel verdienen können, dann machen einige Jugendliche keine Ausbildung mehr. Ein staatlicher Mindestlohn setzt da falsche Anreize und schwächt die Lehre.

    Der Mindestlohn untergräbt die insgesamt gut funktionierenden Sozialpartnerschaften in der Schweiz. Wieso wäre dies das Ende der Sozialpartnerschaften?
    Es wäre der Anfang vom Ende der Sozialpartnerschaft. Heute legen die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in harten Verhandlungen die Löhne und weitere Leistungen fest. Wenn die Lohnpolitik in die Hände der Politik kommt, dann schwächt das die Sozialpartnerschaft. Zudem kann das Mindestlohngesetz jederzeit vom Parlament verschärft werden. Die Sozialpartnerschaft würde zum Spielball der Politik.

    Basel grenzt an Deutschland und Frankreich. Führt ein Mindestlohn zu noch mehr Einkaufstourismus?
    Ja. Ökonominnen und Ökonomen sind sich einig, dass Mindestlöhne zu höheren Preisen führen. Gerade in der Grenzregion Basel würde das den Einkaufs- und Gastrotourismus noch weiter erhöhen. Der Coiffeurbesuch ennet der Grenze würde noch attraktiver werden. Auch das gefährdet am Ende Arbeitsplätze bei uns.

    In den Kantonen Neuenburg, Jura und Tessin wurden in den letzten Jahren ein kantonaler Mindestlohn eingeführt. Wie sieht die Situation dort aus?
    Die Situation ist ganz unterschiedlich. In diesen Kantonen wurde ein viel tieferer Mindestlohn als 23 Franken eingeführt. Und es gibt noch keine fundierten Untersuchungen über die Auswirkungen. Die Corona-Pandemie bringt zudem eine völlig neue Situation. Ein Kostenschub in den schwer betroffenen Branchen wäre das Schlechteste, was wir machen könnten.

    Welche Prognosen machen Sie bezüglich der Abstimmung am 13. Juni 2021?
    Wir wissen, dass es ein anspruchsvoller Abstimmungskampf ist. Der staatliche Mindestlohn erscheint auf den ersten Blick vielleicht sympathisch, aber er schadet gerade denjenigen Menschen am allermeisten, denen er helfen sollte. Er schadet zudem der Berufsbildung und ist erwiesenermassen kein taugliches Mittel für die Armutsbekämpfung. Wir sind zuversichtlich, dass die Bevölkerung diese gravierenden Nebenwirkungen erkennt, welche durch die Corona-Krise noch verstärkt werden.

    Interview: Corinne Remund

    www.gewerbe-basel.ch


    Mindestlohn auf der politischen Agenda

    Der Mindestlohn war in den letzten Jahren immer wieder auf allen politischen Ebenen Thema. 2014 stimmte die Schweiz über die sogenannte Mindestlohn-Initiative ab. Der Versuch von Gewerkschaften und SP, schweizweit einen Mindestlohn einzuführen, scheiterte aber an der Urne deutlich mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 76.3 Prozent.

    Als erster Kanton führte Neuenburg im Sommer 2017 einen Mindestlohn von 20 Franken ein. Kurz darauf zog der Kanton Jura nach – eine entsprechende Initiative war zuvor an der Urne gutgeheissen worden. Auch im Kanton Tessin nahmen die Stimmberechtigten 2015 eine Volksinitiative an, wonach in einzelnen Branchen ein Mindestlohn eingeführt werden kann. Die Umsetzung ist allerdings durch Rekurse mehrerer Tessiner Unternehmen am Bundesgericht blockiert.

    Debatten gab es seit 2018 etwa im Thurgauer, Freiburger, Zürcher und Luzerner Kantonsparlament. Diese Vorstösse wurden klar verworfen. In Basel-Stadt wurde im Februar 2019 die Initiative «Kein Lohn unter 23.–» eingereicht.

    www.mindestlohnnein.ch

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