Der Hype um Verschwörungsmythen und -theorien

    Warum haben Verschwörungsmythen aktuell auch in der Region einen so hohen Zulauf?

    Die «Anti-Corona»-Demo in Liestal im März 2021 sorgte landesweit für Schlagzeilen und bekam eine hohe Aufmerksamkeit. Nicht nur aufgrund des Hintergrundgedankens (Kritik an den Massnahmen gegen die Pandemieausbreitung) für die Durchführung und der Tatsache, dass eine Vielzahl von Teilnehmenden in der dichtgedrängten Menge keine Schutzmaske trugen. Sondern auch, weil einmal mehr einige Trittbrettfahrer/innen die Bühne nutzten, um ihre Verschwörungsmythen zu verbreiten.

    (Bild: PEXELS) Studien belegen, dass wenn man oft genug und wiederholt repetitiv «Thesen» oder Meinungen laut genug und reichweitenintensiv verbreitet, sich eine gewisse Deutungs- und Meinungshoheit bildet und auf einmal glaubwürdig wird.

    An fast jeder Demo, welche die kritische Auseinandersetzung mit den Massnahmen der Kantone und des Bundes gegen die Verbreitung der Covid-Pandemie zum Motto hat, ist es zu beobachten: Manche Gruppierungen nutzen die Aufmärsche und die damit einher gehende Aufmerksamkeit und Wirkung, um bestimmte Botschaften zu verbreiten. Manche davon gehen eindeutig in Richtung Verschwörungsmythen. Die Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse oder Situationen von Interessengruppen in negativer Absicht manipuliert werden, treibt einige an, diversen Theorien zu glauben. Das ist a priori nicht falsch und eine kritische Auseinandersetzung in allen Lebensbereichen ist in einem Rechtsstaat erlaubt und erwünscht. Aber: Auch wenn die kritischen Theorien, die oft auch bald sich in «Mythen» verwandeln, erst mal vordergründig eine logische Erklärung für komplexe Ereignisse oder Situationen bieten, so vermitteln sie in einigen Fällen dennoch ein falsches Gefühl von Kontrolle und Deutungshoheit. Dieses Bedürfnis nach klaren Verhältnissen ist in Zeiten von Corona besonders stark ausgeprägt (Quelle: Unesco). Die Corona-Pandemie hat – so berichten auch andere Stellen und Kommissionen – eine zuletzt immer grössere Anzahl schädlicher und irreführender Verschwörungstheorien hervorgebracht, die in erster Linie übers Internet, aber auch an Aufmärschen und Demonstrationen verbreitet werden. Man erkenne Verschwörungstheorien und -mythen meistens an den folgenden Parametern: Erstens, sei eine angebliche, geheime Verschwörung und eine Gruppe von Verschwörern am Werk. Zweitens: es sollen «Beweise» aufgetaucht sein, die die Verschwörungstheorie zu stützen scheinen. Diese suggerieren, dass nichts von ungefähr geschieht, und dass es keine Zufälle gibt; nichts ist, wie es scheint – und alles gehört zusammen. Viele dieser «Theorien» unterteilen die Welt in Gut und Böse und machen bestimmte Menschen oder Gruppen zu Sündenböcken.

    «Nicht jeder Lockdown-­Kritiker ist Verschwörungstheoretiker»
    Der Kampf um Wahrheit wird aber nicht nur in den Medien ausgefochten. Die Konfrontation mit irritierenden Erklärungen zu Corona ist für viele alltäglich. «Nicht jeder Lockdown-Kritiker sei aber Verschwörungstheoretiker. Und längst nicht jeder, der es tut, teilt rechtsextreme Ansichten», sagte Marko Kovic in einem Interview. Der Mitbegründer des Vereins Skeptiker Schweiz setzt sich für ein kritisches Denken ein, das logische Fehlschlüsse und kognitive Verzerrungen minimieren soll. Er hat zu Verschwörungstheorien geforscht. Der Autor, Podcaster und Kommunikationswissenschaftler beschäftigt das Thema nicht zuletzt, weil er früher selber an so manche von ihnen geglaubt hat. Wir haben ihn zu seiner Einschätzung gefragt, warum besonders jetzt unter den Lockdown-Kritikerinnen und Kritikern so viele an gewisse Mythen oder Theorien glauben oder sich damit befassen.

    (Bild: zVg) Analysiert laufend den Themenbereich «Verschwörungstheorien und -mythen»: Marko Kovic.

    Marko Kovic, warum radikalisieren sich immer mehr Leute, die den Lockdown-Massnahmen kritisch gegenüber stehen?
    Marko Kovic: Das hat unterschiedliche Gründe. Einerseits dauert die Pandemie ja schon über ein Jahr und langsam sind wir alle Corona-müde und wollen zurück zur Normalität. Andererseits dürfte aber nicht zuletzt das Online-Kommunikationsverhalten der Massnahmen-Gegner zentral sein. Wenn man immer nur die gleichen kritischen Informationen aus dubiosen Quellen konsumiert und beispielsweise in Facebook- und Telegram-Gruppen nur von Leuten umgeben ist, die alles genau gleich sehen, verhärtet sich die Sicht der Dinge. Das ist eine besorgniserregende Dynamik. Man spricht da von einer Filterblase.

    Geht es da den meisten eher um wirtschaftliche Not oder um die Durchsetzung einer Meinungshoheit?
    Die wirtschaftliche Not könnte in der Tat eine Rolle spielen. Gemäss zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen trifft die Pandemie ärmere Bevölkerungsteile viel härter als wohlhabende. Auch in der Pandemie sind wir nicht alle gleich. Das schafft ein Gefühl von Ohnmacht und Kontrollverlust – und eine Wut im Bauch, die zum Teil durchaus berechtigt ist. Die Politik kümmert sich meiner Meinung nach zu wenig um jene, die materiell am stärksten von der Pandemie betroffen sind.

    Welche Rolle spielen hierbei die Verschwörungstheorien, die oftmals eher Mythen sind?
    Verschwörungstheorien sind in diesem Zusammenhang zentral. Die Massnahme-Gegner kritisieren die Corona-Politik leider nur selten auf einer sachlichen, differenzierten Ebene. Stattdessen deuten sie die aktuelle Situation oft als eine grosse Verschwörung: Bill Gates und die Pharmaunternehmen wollen uns mit Impfungen etwas einpflanzen. Corona sei ein Vorwand, um eine Diktatur oder einen Überwachungsstaat einzuführen. Was man zudem oft hört: Das Coronavirus sei eine Biowaffe. Für all diese Verschwörungstheorien gibt es zwar keine Beweise, aber die ganzen Fake News und Lügen, die im Internet und auf Social Media kursieren, lassen viele Menschen glauben, dass das die Realität sein könnte.

    JoW, Interview: DaC


    Warnsignale?

    Unsicherheit, Angst und die Komplexität der COVID-­19-Pandemie haben entsprechende Verschwörungstheorien angeheizt. Sie versuchen zu «erklären», warum die Pandemie aufgetreten ist, und wer daraus Kapital schlägt.
    Laut einer in 28 Ländern weltweit durchgeführten Studie glauben über 30 % der Befragten, dass eine ausländische Macht oder eine andere Kraft hinter der Ausbreitung des Coronavirus steckt. Verschwörungstheorien sind trügerisch: Sie blenden wissenschaftliche Erkenntnisse aus und stellen Einzelpersonen und Gruppen an den Pranger.

    Warnsignale:

    • Behauptungen, das Virus sei künstlich (z. B. in einem Labor) aus einem bestimmten Interesse heraus (z. B. Dezimierung der Weltbevölkerung) entstanden.
    • Behauptungen, das Virus sei gezielt verbreitet bzw. seine natürliche Ausbreitung künstlich forciert worden, um möglichst grossen Schaden anzurichten.
    • Behauptungen, Impfstoffe und Heilmittel würden vorsätzlich zurückgehalten, um die Ausbreitung nicht einzubremsen und so vielen Menschen wie möglich zu schaden.
    • Behauptungen, bestimmte Anti-Corona-Massnahmen würden ergriffen, nur um die Gesellschaft zu schikanieren oder zu kontrollieren (z. B. Impfstoffe, Masken).

    Quelle: ec.europa.eu

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